Übersicht über die wichtigsten Stilmittel

A) Tropen

Unter Tropen versteht man die Formen "uneigentlichen" Sprechens, d.h. unter einem Wort ist etwas anderes zu verstehen als sein "eigentlicher" Inhalt.

1) Litotes: ein hoher Grad wird durch die Negation des Gegenteils ausgedrückt (Zweck: Verstärkung dereigentlich positiv gemeinten Aussage):

non ignoro: ich weiß sehr wohl; nemo est, quin nesciat: es gibt niemanden, der nicht wüßte = jeder weiß; er hielt eine nicht unbedeutende Rede; "nicht ohne Fleiß" = "fleißig"; "nicht dumm"; "nicht selten"

2) Hyperbel: eine das Maß des Glaubwürdigen übersteigende Aussage(Übertreibung),(Zweck: In der Rede pathetische Weckung parteiischer Emotionen, in der Poesie wirklichkeitsübersteigender Vorstellungen):

Cicero über Catilina: "monstrum illum et prodigium"(jenes gräßliche Scheusal) (II 1,1), Catilinam orbem terrae caede atque incendio vastare cupientem (I 1,3); 

„Pompeius plura bella gessit quam ceteri legerunt.“ - „Pompeius hat mehr Kriege geführt als andere gele-sen haben.“

Redensarten: "vor Neid platzen", "zum Steinerweichen weinen", "auf Händen tragen"; 

"Ein Mund wie ein Scheunentor." "Ich mußte eine Ewigkeit warten."

Werbung: "Das strahlendste Weiß, das es je gab".

3) Metonymie: "Begriffstausch": Zwei in enger gedanklicher Verbindung stehende Begriffe werden untereinander ausgetauscht, wobei sachlich dasselbe gemeint ist, z.B. Vertauschung von Ursache und Wirkung, Autor und Werk, Stoff und Produkt etc. (Zweck: Abwechlsung in der Wortwahl, Weckung von Assoziationen):

"Wir lesen gerade Cicero" (statt "ein Werk Ciceros"); "Der Kreml macht bekannt" (statt "die Regierung im Kreml"); "Ganz Griechenland ergriff der Schmerz" (statt "alle Griechen"); "Deutschland schlägt Argentinien 1:0" (statt "die deutsche Mannschaft"); "Zeppelin" statt "Luftschiff".

Cicero über Catilina (I 1,1): „audacia sese iactabit“ - „Die Frechheit wird sich brüsten“ (statt "Catilina wird sich frech brüsten").

„Vulcanum naribus efflant tauri.“ - „Die Stiere schnauben Feuer (Vulcanus, den Gott des Feuers) aus der Nase.“

„Cedant arma togae, concedat laurea laudi.“ - „Die Waffen sollen der Toga weichen, der (Kriegs-)lorbeer dem (Friedens-)ruhm.“

4) Synekdoché: oft als „pars pro toto“: Von verschiedenen Aspekten eines komplexen Begriffes wird ein einziger stellvertretend genannt: „tectum“ für Haus; oder kollektiver Singular statt Plural: „Romani hostem superaverunt.“

5) Antonomasie: Ein Eigenname wird durch eine Umschreibung ersetzt, die sonst als Apposition zu diesem Eigennamen treten könnte.

Zweck: Dichterische Verfremdung, Abwechslung im Ausdruck, Vermeidung tabuisierter Namen.

divom pater et hominum rex“ statt „Jupiter“ („der Vater der Götter und König der Menschen“).

6) Emphase: „Nachdrücklichkeit“: Durch hintergründige, mit Gesten oder stimmlichen Nachdruck unterstützte eines komplexen Begriffs will der Sprecher erreichen, daß der Hörer den im Kontext gemeinten genaueren Einzelaspekt dieses komplexen Begriffs erschließt.

„Memineris te virum esse!“ - „Vergiß nicht, daß du ein Mann bist!“

„Pack den Tiger in den Tank!“ (Werbung) (> Metapher)

7) Metapher: „Übertragung“, „Bild“: Übertragung eines Wortes in eine andere, ihm eigentlich fremde Sphäre. Neben den schon in der Umgangssprache geläufigen Metaphern, die gebraucht werden, weil keine eigentlichen oder keine treffenderen Ausdrücke zur Verfügung stehen (Liebes-“glut“, zorn-“entbrannt“, ein „harter“ Mensch) werden in der Literatur Bilder verwendetet als verkürzte Vergleiche, bei denen die Sachhälfte und die verbindenden Vergleichswörter ungenannt bleiben:

„Er hat gekämpft wie ein Löwe“ = Vergleich.

„Er war ein Löwe in der Schlacht“ = Metapher.

„fulmina fortunae“ - „Schicksalsschläge (Blitze)“

Spirante etiam re publica ad eius spolia detrahenda advolaverunt.“ - „Das Staatswesen atmete noch, da eilten sie schon herbei, um die (Rüstung als) Beute zu entreißen.“

„Sin tu ... exieris, exhaurietur ex urbe tuorum comitum magna et perniciosa sentina rei publicae.“ - „Verschwindest du, ... dann wird der ganze staatsgefährdende Auswurf deiner Spießgesellen aus der Stadt geräumt.“ (Cic. Cat. I 5,12)

„Hic locus igitur est unus, quo perfugiant; hic portus, haec arx, haec ara sociorum.“ - „Hier ist also die einzige Stätte, wo sie Schutz suchen können, hier der Hafen, hier die Burg, hier der Altar der Bundesgenossen.“(Cic. Verr. 2,5,126)

„Vom Eise befreit sind Ströme und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick.“(Goethe, Faust I, Vor dem Tor, Bd. III, S. 32)

8) Allegorie: ein durch mehrere gereihte Metaphern ausgeführtes Bild:

„Nec tuas ratis ad eos scopulos appulisses, ad quos Sex. Titi afflictam navem et in quibus C. Deciani naufragium fortunarum videres.“ - „Und nie hättest du mit deinem Schiff auf die Klippen zugehalten, wo du das Fahrzeug des Sex. Titus leckgeschlagen und den Schiffbruch des begüterten C. Decianus hättest sehen können.“

9) Ironie: „Verstellung“, „Verspottung“: Der Redner benutzt bewußt das parteiisch gefärbte Vokabular der Gegenseite, weil er sicher ist, daß die Hörer die Unglaubwürdigkeit dieses Vokabulars durchschauen und seine, die Redners, Argumente dadurch ums so wirkungsvoller zur Geltung kommen. Er arbeitet mit Worten, die das Gegenteil von dem aussagen, was er eigentlich meint. Die wahre Bedeutung erkennen die Hörer aus dem a) Tonfall des Sprechers, b) der genannten Person, c) dem sachlichen Kontext.

So spricht Cicero in einer Rede über einen Gegner (Verr. 2,5,14): „O praeclarum imperatorem ... cum Paullis, Scipionibus, Mariis conferendum! Tantumne vidisse in metu periculoque provinciae!“

- „Was für ein hervorragender Feldherr, den man mit Männern wie Paullus, Scipio und Marius vergleichen muß! Solche Einsicht hat er in der Not und Gefahr der Provinz gezeigt!“ 

„Gallia vastatur; quae pax potest esse certior?“ - „Gallien wird verwüstet: könnte es einen sichereren Frieden geben?“

10) Euphemismus: die mildernde bis gegenteilige Bezeichnung von Dingen aus Gründen der Wohlanständigkeit oder des Aberglaubens:

„suae vitae durius consulere“ - „(zu hart für sein Leben sorgen) > Hand an sich legen > sich umbringen.“

B) Figuren

Im Gegensatz zu den Tropen, die die verschiedenen Arten der Setzung e i n e s Wortes s t a t t eines anderen bezeichnen, versteht man unter Figuren die verschiedenen Arten der kunstvollen Anordnung m e h r e r e rWörter (bzw. e i n e sWortes hinsichtlich seiner Wiederholung oder Auslassung).

I Klangfiguren (Mindestens zwei Wörter werden unter Berücksichtigung ihres Klanges im Satz kombiniert, oder ein bzw. mehr lautmalende Wörter geben dem Satz eine bestimmte Färbung.)

1) Alliteration: "Stabreim": Wiederkehr des gleichen Anlauts in aufeinanderfolgenden Wörtern:

Cicero zu Catilina(I 5,10): "Portae patent: proficiscere! - Die Tore stehen offen. Geh!"

"O Tite, tute, Tati, tibi tanta, tyranne, tulisti. - Du selbst, Titus Tatius, hast dir, du Tyrann, solch schlimmes Schicksal gebracht."

"Er wurde von Haus und Hof vertrieben."

Werbung: "Milch macht müde Männer munter".

2) Paronomasie: „Wortspiel durch Gleichklang“: Zwei Wörter, die im Klang sehr ähnlich, aber in der Bedeutung oft sehr verschieden sind, werden in nicht zu großem Abstand kombiniert bzw. miteinander konfrontiert. Die Paronomasie ist in der Übersetzung meistens nicht nachzubilden.

„Mala res, res multo asperior.“ (Sallust Cat. 20,13) - „Die Gegenwart ist schlimm, die Zukunft aber noch viel härter.“

„Inceptio est amentium, haud amantium.“ - „Dies ist ein Unternehmen von Verrückten, nicht von „in Lieben Entrückten.“

Urbi et orbi!“ (Päpstlicher Segen) - „Der Stadt und dem Erdkreis!“

„Dum spiro, spero.“ (Lat. Sprichwort)

Eile mit Weile!“

„Wer rastet, rostet.“

3) Homoioteleuton: "Endungs-Gleichklang": Wiederkehr des gleichen Auslauts in korrespondierenden Gliedern:

Cicero über Catilina(II,1,1): "Abiit, excessit, erupit, evasit.“ - „Er ging weg, zog fort, brach aus, entschwand."

Sprichwort: "Quod licet Iovi, non licet bovi.“ - „Was Jupiter erlaubt ist, ist nicht jedem Ochsen erlaubt."

"Homo sine re, sine fide, sine spe, sine sede.“ - „Ein Mensch ohne Vermögen, ohne Kredit, ohne Hoff-nung, ohne Wohnsitz."

4) Onomatopoiie: „Lautmalerei“ durch Klangwort(e):

"mugitus": "Muhen"; "murmur": "Murmeln"; "sibilus": "Zischen";

Trompetengeschmetter: "At tuba terribili sonitu taratantara dixit.“ - „Aber mit schrecklichem Klang ließ die Trompete ihr "Taratantara" vernehmen."

Hufgetrampel(Vergil,Aen. VIII 596): "quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum.“ -„Dumpf zermalmt der Huf im Galopp das mürbe Gefilde."

Froschgequake(Ovid, met. VI, 376): "Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant.“ - „Obwohlsie unter Wasser sind, versuchen sie unter Wasser zu schimpfen."

„Knistern und Knastern"

„Kuckuck“

II Beiordnungsfiguren (Die Anordnung der Wörter im Satz geschieht nicht vor allem wegen des Wohlklangs, sondern nach den Kriterien harmonischer Gliederung des Satzes und der Eindringlichkeit der Darstellung.)

1) Asyndeton: "unverbunden": Die Konjunktionen werden weggelassen, wodurch die Aufzählung oder Reihung energischer wirkt (knapper, präziser Stil):

"Veni, vidi, vici". (Ein ganze Reihe von Stilmitteln sind hier zu finden!!)

Werbung der Bundesbahn: "Schnell, sicher bequem".

"Frisch, fromm, fröhlich, frei."

Motto der Olympischen Spiele: "Altius, citius, fortius".

2) Polysyndeton: „viel verbunden“: Dieselbe Konjunktion wird mehrmals gesetzt, wodurch die Menge der Gegenstände bzw. des Aufgezählten unterstrichen wird. Steht nur eine einzige Konjunktion oder „et - et“, „neque - neque“ oder „non modo - sed etiam“ o.ä., spricht man von einem Syndeton.

„Quos [liberos] neque ut convenire potuerit neque qua ratione inducere neque ubi neque per quos nequeaut quo pretio potes ostendere.“ - „Du kannst weder darlegen, wie er diese [als Mörder gedungenen Frei-en] hätte treffen können, noch, auf welche Weise er sie hätte verleiten können, weder wo, noch durch wessen Vermittlung, noch auf welche Hoffnung hin oder für welchen Preis.“ (Cic. S. Rosc. 29,79)

Und es wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich menget.“ (Schiller, Der Taucher, Bd. III. S. 527).

3)Anapher: Mehrere Sätze oder Teilsätze beginnen mit demselben Wort(Epipher: Schluß mit demselbenWort); sie soll Eindringlichkeit hervorrufen oder die Periode übersichtlicher machen:

Cat. I 1,1: "Nihil...nihil...nihil..."; I 2,4: "Cupio...cupio...".

Misera est ignominia iudicorum publicorum, misera multatio bonorum, miserum exilium.“- „Erbärmlich ist die Schande der öffentlichen Prozesse, erbärmlich die Bestrafung der verfassungstreuen Bürger, erbärmlich die Verbannung.“

"Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bestreiten, an Worte läßt sich trefflich glauben, von einem Wort läßt sich kein Jota rauben."

4) Epipher: Mehrere Sätze oder Teilsätze/Verse schließen mit demselben Wort.

„Poenos populus Romanus iustitia vicit, armis vicit, liberalitate vicit.“ (Rhet. Her. IV 13,19) - Die Punier hat das römische Volk durch Gerechtigkeit besiegt, durch Waffengewalt besiegt, durch Freigebigkeit besiegt.“

„De exilio reducti a mortuo, civitas data a mortuo, sublata vectigalia a mortuo.“ -“Aus der Verbannung heimgeholt sind sie von einem Toten, das Bürgerrecht ist verliehen von einem Toten, Steuern sind aufgehoben von einem Toten.“

5) Symploke: Kombination von Anapher und Epipher.

Quem senatus damnarit, quem populus Romanus damnarit, quem omnium existimatio damnarit, eum vos sententiis vestris absolvetis? (Rhet. Her. IV 14,20). - „Wen der Senat verurteilt hat, wen das römi-scheVolk verurteilt hat, wen die öffentliche Meinung verurteilt hat, den wollt ihr mit euren Stimmen freisprechen?“

6)Geminatio: "Verdopplung": Die unmittelbare Wiederholung eines Einzelwortes oder einer Wortgruppe an beliebiger Stelle im Satz:

(Cicero, Cat I 1,3) "Nos, nos consules, desumus".

"Fuit, fuit ista quondam in hac re publica virtus.“ - „Es gab sie einst, es gab in unserem Staat diese Entschlossenheit."

(Sallust, Cat 20,14) "En illa, illa, quam saepe optastis, libertas...“ - „Seht dort, dort habt ihr die Freiheit, die ihr so oft ersehntet."

„Ach so tief, so tief ist die Sonne heruntergestiegen!“ (Klopstock, Adams Tod, 8. Auft., S. 223).

7)Anadiplose: "Verdopplung": Die Wiederholung eines am Schlusse einer Wortgruppe oder eines Verses stehenden Wortes zu Beginn der folgenden Wortgruppe oder des folgenden Verses (also ein Spezialfall der Geminatio):

(Cicero, Cat I 1,2) "Hic tamen vivit. Vivit? Immo vero etiam in senatum venit." -„Trotzdem lebt dieser Mensch! Lebt? Ja, kommt sogar in den Senat.“

"Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant." (Ovid, met. VI 376).

"Deiphobum vidit lacerum crudeliter ora,// ora manusque ambas.“- „Er sah Deiphobus grausam verstümmelt im Gesicht, im Gesicht und an beiden Händen."

8) Polyptoton: Dasselbe Wort wird in veränderter Form wiederholt, meist in anderen Kasus (traductio).

„Ut tum ad senem senec de senectute, ita in hoc libro ad amicum amicissimus scripsi de amicitia.“ (Cic. Lael. 1,5) - „Wie ich aber damals als Greis an einen Greis über das Greisenalter schrieb, so habe ich die vorliegende Schrift als bester Freund für meinen Freund über die Freundschaft verfaßt.“

„Sie treiben einen Mummenschanz, um einem Mummenschanz beizuwohnen.“ (Handke, Publikumsbeschimpfung, S.28).

9) Parallelismus: Einander entsprechende Satzteile erscheinen in derselben Reihenfolge (ABAB, ABCABC o.ä.):

"Tradidit se huic omnia audienti, magna metuenti, multa suspicanti, nonnulla credenti.“ - „Er überlieferte sich diesem, der alles hört, Großes fürchtet, vieles argwöhnt, einiges glaubt."

"Wie du mir, so ich dir."

"Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. (vita brevis, ars longa)"

Werbung: "Wir weiten und engen, wir kürzen und längen."

10) Chiasmus: „Kreuzstellung“ („Figur eines X"): Korrespondierende Satzglieder stehen überkreuz(<> Parallelismus), wobei in kurzen Antithesen oft die stärksten Gegensätze unmittelbar konfrontiert werden:

satiseloquentiae,genugan Beredsamkeit,

sapientiaeparuman Weisheitzu wenig

(Cicero,Cat. I 2,4) "eorum imperatorem ducemque hostium..."

"Rubens war nicht nur der König der Maler, sondern auch der Maler der Könige."

"Das Leben ist kurz, lang ist die Kunst.(vita brevis, longa ars)".

"Der Einsatz war groß, klein der Gewinn."

Werbung: "Umweltschutz mit Macht. Macht mit!"

11) Antithese: „Gegensatz“: Pointierte Gegenüberstellung entgegengesetztes Aussgaen oder sich widersprechender Begriffe.

„Vicit pudorem libido, timorem audacia, rationem amentia.“ (Cic.Cluent. 6,15 bei Quint. IX 3,77) - „Gesiegt hat über die Scham die Gier, über die Angst die Dreistigkeit, über die Vernunft der Unverstand.“

Bundesbahn-Werbung: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“

12) Hyperbaton: "Sperrung": Grammatisch zusammengehörige Wörter werden durch ein oder mehrere andere getrennt, um Betonungen, Wohllaut oder Wortblockbildung zu erreichen:

(Caesar:) „Gallia est omnis divisa in partes tres“.(Hier liegt ein doppeltes Hyperbaton vor: Gallia est omnis divisa in partes tres).

Tantamne unius hominis... virtus tam brevi tempore lucem affere rei publicae potuit?“ - „Konnte die Tatkraft eines einzigen Menschen in so kurzer Zeit so großes Heil dem Staat bringen?"

(Schiller, Die Bürgschaft, Bd.3,S.526): "Mich, Henker," ruft er, "erwürget, da bin ich, für den er gebürget."

13) Klimax: „Leiter, Steigerung": Das zuerst Gesagte wird stets durch das Folgende überboten(steigernde Aufzählung):

Cicero,Cat.I 2,5: „tam improbus, tam perditus, tam tui similis" (Wenn Cicero die Mitverschwörer des Catilina "improbi, perditi" und dann "tui (=Catilinae) similes" nennt, wird klar, was Cicero von Catilina selbst hält).

Caesars „Telegramm" nach einem Blitzsieg: „Veni, vidi, vici."

„Vincula, carcerem, verbera, secures, crucem“ - „Fesseln, Kerker, Schläge, Beile, Kreuz.“

Werbung: „Schnell, schneller, Express.“

14) Hendiadyoin: „eins durch zwei": Zerlegung eines zusammengesetzten, einheitlich empfundenen Begriffs in seine zwei Teile, wodurch diese beide gleich gewichtig werden. In der Übersetzung verwandelt man am besten den einen Begriff in ein Attribut oder in ein Adverb:

Caes,Gall. IV 18,4: „Sugambri...se... in solitudinem ac silvas abdiderant.“ - „Die Sugambrer hatten sich in der Einsamkeit ihrer Wälder versteckt."

Vergil,georg. 2,192: „pateris libamus et auro" („Wir opfern mit Schalen und Gold.“) statt "pateris aureis libamus" („Wir opfern mit goldenen Schalen.“).

Cicero,Cat.I 1,2: „...notat et designat oculis...“ - „er bezeichnet ganz genau mit den Augen..."

"jubeln und frohlocken"; "ganz und gar"; "sanus et salvus"; "mens animusque".

15) Synonymie: „Häufung“: Häufung sinnverwandter Wörter.

(Cic. Verr. 2.5.118 bei Quint. VIII 4,27): „Aderat ianitor carceris, carnifex praetoris, mors terrorquesociorum et civium Romanorum, lictor Sextius“ - „Da war der Gefängniswärter zur Stelle, der Henker des Prätors, der Tod und Schrecken der Bundesgenossen und römischer Bürger, der Lictor Sextius.“

16) Figura etymologica: Wiederholung sinnverwandter Wörter bzw. von Wörter einer Wortfamilie in ein und derselben idiomatischen Wendung, wodurch deren semantische Kraft erheblich gestärkt wird.

(Ovid her. X 33f., Ariadne): „Nec languere diu patitur dolor; excitor illo / Excitor et summa „Thesea!“ voce voco.“ - „Doch der Schmerz duldet es nicht, lange untätig zu verharren; aufgejagt werde ich von dort, aufgejagt und schreie aus Leibeskräften:“Theseus!“

(2. Tim. 4,7 Vulg.): „Bonum certamen certavi.“ - „Ich habe einen guten Kampf gekämpft.“

„Sein Leben leben.“

17) Trikolon: Drei Wortgruppen, Haupt- oder Gliedsätze werden kombiniert (ähnlich dem Parallelismus):

„Nec rei publicae consuluisti nec armis profuisti nec inimicis restitisti.“ - „Du hast dich weder für den Staat engagiert noch um deine Freunde gekümmert noch deinen Feinden widersetzt." (Rhet. Her. IV19,26)

"Vein, vidi, vici." "Heilig, heilig, heilig." "Götter, Gräber und Gelehrte".

III Sinnfiguren: Der Autor spiegelt eine lebhafte Rede vor, in die sich ja dadurch Nachlässigkeiten im Satzbau und in der Gedankenfolge einschleichen könnnen. In Wirklichkeit ziel diese Ausdrucksweise aber darauf, durch unerwartete Wendung die erhöhte Aufmerksamkeit der Hörer (Leser) zu erregen.

1) Anakoluth: „Aufgabe der Satzkonstruktion“: Man führt einen Satz nicht folgerichtig zu Ende.

(Cic. Verr. 2,3,33): „At ita studiosus est, huius praeclarae existimationis ut putetur in hisce rebus intelle-gens esse, ut nuper - videte hominis amentiam - postea quam est comperendinatus, cum...“ - „Er ist aber dermaßen erpicht auf seinen hervorragenden Ruf, als Kenner von diesen Dingen zu gelten, daß er neulich - seht doch, wie verrückt er ist: nachdem man ihn zur zweiten Verhandlung geladen hatte, als...“

2) Zeugma: „(Unpassende) Verbindung“: Ein Verb wird mit mehreren Substantiven verbunden, obwohl es inhaltlich (semantisch) eigentlich nur zu einem einzigen richtig paßt.

„Locus acervis corporum et civium sanguine redundavit.“ - „Der Platz floß über von Leichenhaufen und Bürgerblut.“

(Sall. Iug. 46,8): „Nam in Iugurtha tantus dolus tantaque peritio locorum et militiae erat, ut, absens an praesens, pacem an bellum gerens perniciosior esset, in incerto haberetur.“ - „Jugurtha war so schlau und hatte so gute Kenntnis von Gelände und Kriegsführung, daß man nicht wissen konnte, ob er in der Ferne oder in der Nähe, im Krieg oder im Frieden (eigentlich „Krieg oder Frieden führend“) mehr zu fürchten sei.“

(Tac. ann. II 29): „[Drusus] innisus... fratri et manus ac supplices voces ad Tiberium tendens immoto eius vultu excipitur.“ - „[Drusus] stützte sich auf seinen Bruder, hob die Hände zu Tiberius empor und flehte um Gnade. Doch dessen Gesicht blieb unbewegt.“

(Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, 5. Buch, S. 70): „Viel eher wird dir Gott, wenn du ganz müßig sitzst, /Als wenn du nach ihm läufst, daß Leib und Seele schwitzt.“

3) Syllepse: „Zusammenfassung“: Eine Syllepse liegt vor, wenn man für zwei verschiedene Satzkonstruktionen und Sachverhalte nur ein einziges Verb verwendet, das aber nur für eine(n) genau paßt.

(Verg. Georg. IV 119-121): „His quidam signis atque haec exempla secuti / esse apibus partem divinae mentis et haustus / Aetherios dixere...“ - „Solchen Zeichen und Beispielen nachsinnend, erklärten / Manche, die Bienen durchwirke ein Teil vom göttlichen Weltgeist, / Feurigen Aethers Gewalt...“

4) Apo Koinou (apokoinou): Ein Wort fehlt im Satz und muß sinn- und konstruktionsgemäß ergänzt werden.

(Verg. Aen. 5,512) Ergänzung einer Präposition: „Illa (in) Notos atque atra volans in nubila fugit.“ - „Jene [die Taube] entflog und floh in die Lüfte und die schwarzen Wolken.“ 

(a.a.O. 6,283) Das zweite „somnia“ muß nach dem Akkusativ als Nominativ ergänzt werden: „... quam sedem somnia vulgo vana tenere ferunt, foliisque sub omnibus (somnia) haerent.“ - „... wo, wie man sagt, die nichtigen Träume wohnen; sie hängen von allen Blättern herab.“

5) Ellipse: (Auslassung): Meist ein einzelnes Wort, das sich ohne weiteres in er vorliegenden Situation ergänzen läßt, wird ausgelassen. Werden mehrere Wörter ausgelassen, ist auf jeden Fall das Verb darunter. Am häufigsten fehlt eine Form von „esse“ (als Kopula). Das fehlende Wort steht nicht in anderer oder derselben Form im unmittelbarem Kontext (vgl. Brachylogie!).

(Tac. Germ. 5,1) Tacitus über Germanien [erg. zunächst „est“, am Schluß „sunt“.]: „Satis ferax, frugiferarum arborum impatiens, pecorum fecunda, sed plerumque improcera.“ - „Saatkorn trägt es recht gut, Obstbäume duldet es nicht, Vieh gibt es reichlich, aber zumeist nur einen kleinwüchsigen Schlag.“

(Verg. Aen. I 36f.): „Cum Iuno aeternum servans sub pectore volnus / Haec secum: ...“ - Da sprach Juno - brennt doch im Herzen ihr die ewige Wunde - so zu sich: ...“

6) Brachylogie: „Ausdruckskürze“: Auslassung von Satzteilen, die im unmittelbaren Kontext in anderer Form schon vorkommen oder aus dem Satzsinn notwendig zu ergänzen sind (vgl. Ellipse!).

(Cic. off. II 22,79): „In hac pernicie rei publicae ne illam quidem consequuntur, quam putant [erg. „se consecuturos esse“], gratiam.“ - „Jene [Volksverführer] erreichen zudem bei so allgemeiner Zerrüttung des Staates nicht einmal die Gunst, die sie sich erträumen.“

(Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, 6. Buch, S. 83): „Das Tröpflein wird das Meer, wenn es ins Meer gekommen; / Die Seele [wird] Gott, wenn sie in Gott ist aufgenommen.“

7) Enallage (adiectivi): „Falsche Beziehung des Adjektivs“: Enallage bedeutet Beziehungsverschiebung. Ein Adjektiv bezieht sich inhaltlich auf ein anderes Wort als grammatisch [von der Endung her]: 

hesterna felicitate pugnae“ - „durch das gestrige Glück des Kampfes, d.h. durch das Glück des gestrigen Kampfes“

„ad iusti cursum amnis adire“ - „an den Lauf des regelrechten Flusses herankommen, d.h. an den regelrechten Lauf des Flusses herankommen“

(Liv. IX 19,2): „Itaque in omni defectione sociorum [statt „in defectione omnium sociorum] Latini nominis urbano prope dilectu decem scribebantur legiones.“ - „Deshalb wurden beim Abfall aller Bundesgenossen Latinischen Rechts zehn Legionen fast ausschließlich in der Hauptstadt ausgehoben.“

8) Prolepsis adiectivi: „Vorwegnahme des Adjektivs“: Einem Substantiv wird durch das adjektivische Attribut eine Eigenschaft beigelegt, die es eigentlich erst durch die im Prädikat ausgedrückte Handlung erhält. Diese Eigenschaft wird also gewissermaßen „vorweggenommen“.

(Liv. II 6,7): „Ille est vir, qui nos extorres expulit patria.“ - “Das ist der Mann, der uns heimatlos aus dem Vaterland vertrieb.“

(Liv. XXI 33,3): „Utraque simul obiecta res oculis animisque immobiles parumper eos defixit.“ - „Dies beides bot sich ihnen gleichzeitig und lähmte sie für kurze Zeit.“

9) Hysteron-proteron: „Das Spätere früher“: Zwei Begriffe werden entgegen ihrer natürlichen Ordnung in eine umgekehrte Reihenfolge gebracht.

(Cic. leg. I 22,59): „Qui se ipse norit ..., intelleget, ... quanta... instrumenta habeat ad obtinendam adipiscendamque sapientiam.“ - „Wer sich selbst kennt, wird verstehen, wie große Hilfsmittel er zum Erlangen und Bewahren der Weisheit besitzt.“

(Verg. Aen. II 353): „... moriamur et in media arma ruamus!“ - „... wir wollen sterben und uns mitten ins Waffengetümmel stürzen!“

(Goethe, Faust I, Der Nachbarin Haus, Bd. III, S. 89): „Ihr Mann ist tot und läßt sie grüßen.“

10) Pleonasmus (Tautologie): "Überflüssige Verstärkung": Man macht zu einem Begriff einen Zusatz, der eigentlich überflüssig ist, weil er kein neues Merkmal beisteuert. Gerade dadurch aber wird der gewollte Sinn noch verstärkt. Pleonasmus gibt es in fast formelhaften Wendungen:

(Caes.Gall. I 23,)1: „Postridie eius die“. - „(Am folgenden Tage dieses Tages) > Am folgenden Tag.“

"Ich hab's mit meinen eigenen Augen gesehen."

"Ich wiederhole nochmals."

"weißer Schimmel", "schwarzer Rappe", "nackt und bloß", "voll und ganz"

11) Oxymoron: "Scharfsinniger Unsinn": Sich widersprechende Begriffe werden zu einer Einheit verbunden, um den Leser(Hörer) zum Nachdenken über diese hintergründige Ausdrucksweise zu provozieren:

(Cic. Cat. I 8,21): "Cum tacent, clamant.“ - „Indem sie schweigen, schreien sie."

"beredtes Schweigen"

"rerum concordia discors“ - „die zwieträchtige Harmonie der Dinge"

"Es war dunkel, der Mond schien helle, als ein Jüngling blitzesschnelle langsam um die Ecke fuhr..."

"Eile mit Weile!"; "hölzernes Eisen"; "ein öffentliches Geheimnis"; "süße Bitternis".

12) Paradoxon: „Scheinwiderspruch“: Man wird plötzlich mit einer völlig unerwarteten Wendung des Gedankens konfrontiert.

(Vegetius IIIpro.): „Qui desiderat pacem, praeparat bellum.“ - „Wer den Frieden wünscht, rüstet zum Krieg.“

(Verg. aen. II 354): „Una salus victis nullam sperare salutem.“ - „Das einzige Heil für die Besiegten ist dies: kein Heil zu erhoffen.“

(Sen. epist. 1,2): „Dum differtur, vita transcurrit.“ - “Während es aufgeschoben wird, enteilt das Leben.“

IV Satzfiguren: Diese Figuren kommen erst zur Geltung, wenn der Redner sie durch seine Stimmführung oder Gestik unterstreicht.

1) Interrogatio: "Rhetorische Frage": Der Redner verwandelt eine Aussage oder Aufforderung in eine Frage. Dadurch signalisiert er eine gesteigerte Erregung, die ihn den direkten Kontakt zum Gegenüber suchen läßt. Das ist jedoch nur rhetorische Vorspiegelung, weil er natürlich gar keine Reaktion in

Form einer Antwort erwartet.

(Cicero,Cat. I 1,1): „Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? Quam diu etiam furor iste tuus nos eludet? Quem ad finem sese effrenata iactabit audacia?“

"Wer von uns wüßte denn nicht, daß ...?"

"Ist das nicht ein Skandal?"

"Sind wir nicht fähig, uns zu behaupten?"(Natürlich sind wir das!)

2) Subiectio/Percontatio: „Frage-Antwort-Spiel“: Der Redner fingiert einen Dialog, in dem er selbst die Antworten gibt. Dabei kann er die Fragen an sich selbst oder den Gegner richten. Außer der Entkräftung der Argumente des Gegners dient diese Figur zur Belebung des sonst vorherrschenden Monologs.

(Thet. Her. IV 23,33): „Quaero igitur, unde iste tam pecuniosus factus sit. Amplum patrimonium relictum est? At patris bona venierunt. Hereditas aliqua venit? Non potest dici, sed etiam a necessariis omnibus exhereditatus est.“ - „Ich frage also, aus welchen Quellen diesem Menschen da so großer Reichtum zugeflossen ist. Hat der Vater ihm ein riesiges Vermögen hinterlassen? - Aber die Güter des Vaters sind doch verkauft worden! - Fiel ihm irgendeine Erbschaft zu? - Das kann man nicht sagen, er ist sogar von allen Verwandten enterbt worden.“

(Cic. S. Rosc. 19,54): „Finge aliquid saltem commode, ut ne plane videaris facere, quod aperte facis: huius miseri fortunis ... inludere. „Exheredare filium voluit.“ Quam ob rem? „Nescio.“ Exheredavitne? „Non.“ Quis prohibuit? „Cogitabat.“ Cui dixit? „Nemini.“ - „Denke dir doch wenigstens etwas Passendes aus, damit du nicht so gänzlich ungeschminkt das tust, was du offensichtlich betreibst: mit dem Hab und Gut dieses unglücklichen Menschen hier dein Spiel treiben. „Er wollte deinen Sohn enterben.“ Weswegen? „Das weiß ich nicht.“ Hat er ihn enterbt? „Nein.“ Wer hat ihn daran gehindert? „Er plante es die ganze Zeit.“ Wem hat er das gesagt? „Niemandem.

3) Exclamatio: „Ausruf“: Der Ausruf ist unter die Figuren nur einzureihen, wenn er vom Redner gespielt wird.

(Cic. Cat. I 1,2): „O tempora, o mores!“ - „Was sind das Zeiten, was für Sitten!“

4) Correctio: „Selbstkorrektur“: Der Redner verbessert selbst die von ihm eben noch gebrauchte Ausdrucksweise. Dadurch intensiviert er häufig die Kraft der intendierten Aussage. Oft aber muß er sich dadurch auch improvisierend auf die Hörerreaktion einstellen. 

(Cic. Verr. 2,4,6): „Nuper homines nobiles eius modi, iudices - Sed quid dico nuper? immo vero modo ac plane - vidimus, qui forum et basilicas non spoliis provinciarum, sed ornamentis amicorum, commodis hospitium, non furtis nocentium ornarent.“ - „Erst kürzlich, ihr Richter - doch was sage ich kürzlich? Nein, in jüngster Zeit und gerade eben noch haben wir erlebt, wie genauso bekannte Männer das Forum und die Säulenhallen nicht mit dem Raub der Provinzen, sondern mit den Prachtstücken ihrer Frunde und Leihgaben der Gastgeber, und nicht mit dem Diebesgut von Verbrechern ausschmückten.“

5) Permissio: „Anheimstellung“: Der Redner überläßt es dem Hörer, einen Sachverhalt zu beurteilen, inder sicheren Erwartung, daß sein eigener Standpunkt vom Hörer geteilt wird. Auch zur Erregung von Mitleid bei den Richtern wird diese Figur gewissermaßen als Demutsgebärde angewendet.

(Rhet. Her. IV 29,39): „Vos me, vestro pacto vobis videtur, utamini atque abutamini licebit; impunite in me quidlibet statuite; dicite atque innuite: parebo.“ - „Es soll euch freistehen, ganz nach eurem Gutdünken mit mir im Guten wie im Schlechten zu verfahren. Ungestraft beschließt gegen mich, was euch beliebt. Sprecht und gebt den Wink: ich werden mich fügen.“

(Cic. Verr. 2,5,22): „... tantumque in hoc crimine suspicionis esse adfirmabo, ut iam ipsis iudicibus sine mea argumentatione coniecturam facere permittam...“ - “... und ich werde erklären, in diesem Vorwurf sei ein so starker Verdacht enthalten, daß ich es nunmehr, ohne meinerseits den Beweis zu führen, den Richtern überlasssen darf, selbst ihre Schlüsse zu ziehen...“

6) Praeteritio: "Übergehung": Der Redner kündigt an, er wolle über etwas nicht sprechen, erwähnt diesen Gegenstand dabei aber natürlich, wodurch er ihn indirekt als allbekannte Tatsache unterstellt. Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit auf das folgende, schwerwiegendere Argument gelenkt:

(Cicero, Philippica II 25,62:) "Quid ego istius decreta, quid rapinas, quid hereditatum possessiones datas, quid ereptas proferam?“ - „Was soll ich all seine Erlasse, seine Räubereien, all die freiwillig überlassenen oder gewaltsam erzwungenen Erbschaften aufzählen?"

(Cicero, Cat.I I,3:) "Nam illa nimis antiqua praetereo, quod C. Servilius Ahala Sp. Maelium novis rebus studentem manu sua occidit.“ - „Denn ich übergehe die zu alten Fälle, daß z.B. C. Servilius Ahala den Sp. Maelius eigenhändig umbrachte, weil dieser einen Umsturz plante."

7) Occupatio/Praemunitio: „Vorwegnahme“: Der Redner sichert sich schon vorher gegen mögliche Einwände des Gegners ab, indem der diesen „Platz“ gewissermaßen selbst „besetzt“ und so die Argumente, die vorgebracht werden könnten, selbst entkräftet.

(Sall. Cat. 51,25): „At enim quis reprehendet, quod in parricidas rei publicae decretum erit? - Tempus, dies, fortuna, cuius lubido gentibus moderatur.“ - „Aber wird denn dieses Vorgehen gegen Vaterlandsverräter tadeln? - Die Umstände, die Zeit, das Schicksal, dessen Laune die Völker lenkt.“

(Cic. Verr. 2,5,22): „Provideo enim, quid sit defensurus Hortensius. Fatebitur apud istum neque senectutem patris neque adulescentiam filii neque lacrimas utriusque plus valuisse quam utilitatem salutemque provinciae...“ - „Ich sehe nämlich voraus, was Hortensius einwenden wird. Er wird erklären, daß bei Verres weder das hohe Alter des Vaters noch die Jugend des Sohnes noch beider Tränen mehr vermocht hätten als der Vorteil und das Wohlergehen der Provinz...“

8) Personificatio: "Prosopopoiie, Personifizierung": Einführung gegenwärtiger oder nicht gegenwärtiger, erfundener oder wirklicher Personen oder die Einführung personifizierter Gegenstände oder Begriffe durch Äußerung und Reden oder durch Handlungen. Sie schafft Abwechslung und Spannung:

(Eine berühmte Personificatio gestaltet Cicero in seiner 1. Catilinarie:)

I 11, 27-29: "Etenim si mecum patria..., si cuncta Italia, si omnis res publica loquatur: "M. Tulli, quid agis? Tune... principemconiurationis... exire patieris, ut abs te non emissus ex urbe, sed immissus in urbem esse videatur?...“ - „Wenn nämlich das Vaterland..., wenn ganz Italien, wenn unser gesamtes Gemeinwesen zu mir spräche: "M. Tullius, was tust du? Du willst es dulden, daß... das Haupt der Verschwörung... entkommt, so daß man glauben muß, er sei von dir nicht aus der Stadt herausgelas-sen, sondern gegen die Stadt losgelassen worden?..."

(Goethe): "Süßer Friede komm, ach, komm in meine Brust."

9) Apostrophe: „Abwendung“: Der Redner wendet sich (z.B. von den Richtern) ab und spricht direkt zum Gegner, den Zuhörern, fingierten Personen, Göttern oder personifizierten Gegenständen.

(Cic. Verr. 2,5,163 bei Quint. IX 2,38): „O leges Porciae legesque Semproniae!“ - „O ihr Gesetze des Porcius und ihr Gesetze des Sempronius!“

(Cic. Tusc. V 2,5): „O vitae philosophie dux, o virtutis indagatrix expulutrixque vitiorum! Quid non modo nos, sed omnino vita hominum sine te esse potuisset?“ - „O Philosophie, du Führerin des Lebens, du Sucherin nach Vollkommenheit und Vertreiberin der Laster! Was hätten nicht nur wir, sondern überhaupt das Leben der Menschen ohne dich sein können?“

10) Aposiopese: „Abbruch“: Der Redner bricht plötzlich seine Rede ab, um dem Hörer die Fortsetzung zu überlassen.

„De nostrum omnium - non audeo totum dicere.“ - „Über unser aller - ich wage nicht, das Ganze zu sagen.“

(Rhet. Her. IV 54,67): „Qui ista forma et aetate nuper lienae domi - non plura dicere.“ - „Dieser schöne junge Mann kürzlich in einem fremden Hause - ich will nicht mehr sagen.“

(Cic. S. Rosc. 139): „Sin has caedis et rapinas et hos tantos tamque profusos sumptus aut facient aut approbabunt - nolo in eos gravius quicquam ne ominis quidem causa dicere, unum hoc dico...“ - „Wenn sie aber dieses Morden und Rauben, diesen riesigen und verschwenderischen Aufwand entweder mitmachen oder billigen - ich will nichts zu Schlimmes gegen sie sagen, um nicht den Teufel an die Wand zu malen, nur das eine sage ich...“ 

(nach: Richter-Reichhelm, Joachim: Compendium Scholare Et Troporum Et Figurarum, Frankfurt 1988;

Rubenbauer/Hofmann: Lateinische Grammatik, 1977, 10.Aufl.)