LUCIUS ANNAEUS SENECA
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Leben und Werk (nach: Seneca, epistulae morales ad
Lucilium, Diskette des Verlags m-Soft;
L. Annaeus Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, bearb. von Rohrmann/Widdra, Sturtgart 19841, S. 6) In früher Jugend begegnen wir der
Familie in Rom. Dort sollte er nach Willen seines ehrgeizigen Vaters die
übliche Ausbildung als Rhetor und Anwalt erhalten,
um dann die Staatslaufbahn einzuschlagen. Unter dem starken Einfluß seiner Mutter wandte er sich aber bald dem
Studium der Philosophie zu. Während der Studien kam er mit der stoischen
Lehre in Berührung, die ihn zu ihrem fanatischen Jünger machte. Das harte aszetische Leben trieb er so weit, daß
sich sein Gesundheitszustand lebensgefährlich verschlechterte. Sein Vater sah
sich daraufhin gezwungen, ihn zu seinem Onkel, der in Ägypten Statthalter
war, zur Erholung zu schicken. Unter dermütterlichen
Fürsorge seiner Tante gesundete erwieder. Nach längerem Aufenthalt in Ägypten
beschritt er im Jahre 31 in Rom die Ämterlaufbahn. Unter Kaiser Tiberius
sehen wir ihn zunächst als Rechtsanwalt mit großen Erfolgen als Prozeßredner und als Quästor.
Wegen seiner Rednergabe zog er sich den Neid zweier Kaiser zu. Der gefeierte
Redner sollte auf Betreiben von Caligula beseitigt werden. Der kaiserliche
Mordanschlag wurde aber nicht ausgeführt, da man Seneca wegen angeblicher
Schwindsucht sowieso kein langes Leben mehr zubilligte. Unter Kaiser Claudius
wurde ihm ehebrecherisches Verhältnis mit Julia Livilla,
der Schwester des Caligula, vorgeworfen. Auf Betreiben der Messalina, der
Gattin des Claudius, wurde er daraufhin im Jahre 41 n.Chr. nach Korsika
verbannt. Während dieser Zeit der Verbannung
betätigte er sich wissenschaftlich und poetisch. Acht schwere Jahre mußte der kranke Mann auf der gefürchteten Insel leben.
Erst auf Veranlassung der Agrippina, der Schwester der Julia Livilla und 2. Gemahlin des Kaisers Claudius, durfte der
damals schon berühmte Schriftsteller im Jahre 49 aus dem Exil nach Rom
zurückkehren. Dort wurde er zum Prätor (50)
ernannt. Da er in diesem Amt das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen wußte, wurde er wenig später sogar zum Lehrer und
Erzieher des kaiserlichen Prinzen Nero gemacht. Die Stellung als Prinzenerzieher und
Staatsmann (55/56 Konsul) bedeutete für Seneca Machtfülle. Er beherrschte
dadurch für den noch nicht volljährigen und psychopathischen Nero den kaiserlichen Hof, den Senat, Rom und das gesamte
Imperium. Dabei half ihm sein Freund Afranius Burrus, der Präfekt der kaiserlichen Garde. (Diese Jahre
galten später als die "goldene Zeit" der römischen Monarchie.) Der Einfluß auf den jugendlichen Kaiser schwand aber von Jahr
zu Jahr. Seneca vermochte nicht mehr, Neros
Exzessen entgegenzuwirken, und dadurch wuchsen auch dessen Grausamkeiten. Als
Burrus starb (62 n.Chr.),- man nimmt an, daß er vergiftet wurde -, zog sich auch Seneca aus seiner
Stellung zurück. In dieser Zeit der Abgeschiedenheit, den letzten drei
Lebensjahren, konnte er seine philosophischen Werke reifen lassen, abrunden
und vervollständigen. Kaiser Nero, der sich dem Einfluß Senecas immer mehr
entzog und sich ihm entfremdete, bezichtigte diesen schließlich, an der Pisonischen Verschwörung gegen ihn im April des Jahres 65
beteiligt gewesen zu sein, und schickte ihm das Todesurteil ins Haus. In
Anwesenheit seiner Freunde öffnete sich der Philosoph die Pulsadern (65
n.Chr.). Was
von seinen Werken der Nachwelt verblieben ist, läßt
sich wie folgt zusammenfassen: 1)Philosophische
Schriften, bei
denen die Ethik im Mittelpunkt steht: Es sind Prosaarbeiten der
verschiedensten Art. Ob große und zusammenhängende Werke, ob
Einzelabhandlungen bestimmter Themen, ob kürzere Gedankenskizzen in Briefen sämtliche
Werke sollen keine Theorien entwickeln, sondern praktisch wirken und helfen,
das Leben zu gestalten. Im
einzelnen: (in Klammern das voraussichtliche Jahr der Veröffentlichung ) a) ZehnD i a l o g ein Zwölf Büchern: Ad
Marciam de consolatione -
Trostschrift an Marcia (39/40) Ad Polybium de consolatione - Trostschrift an Polybius (43/44) De brevitate vitae - Über die Kürze
des Lebens (49) De
tranquillitate animi -
Über die Gemütsruhe (53/54) De
constantia sapientis -
Über die Standhaftigkeit des Weisen (55) De
vita beata - Über das glückliche Leben (58) De
otio - Über die Muße (62)De providentia
- Über die Vorsehung (63) Folgende Werke zeigen ähnliche
stilistische Merkmale wie die Dialoge, zählen aber nicht zu diesen: b) Ad Neronem
de clementia - An Nero
über die Güte (56) c) De beneficiis
- Die Wohltaten (60 ?) d) Naturales quaestiones
- Naturphilosophische Probleme (ab 62) e) Epistulae morales ad Lucilium
- Briefe an Lucilius über Ethik (ab 62) 2)Dichtung a) Tragödien: neun Werke. Sie
unterscheiden sich von den griechischen Vorbildern, wenn sie auch nach
griechischen Sagenstoffen gestaltet sind und Namen klassischer Tragödien
tragen. Die Titel: Hercules
furens (Der rasende Herkules), Troades
(Die Troerinnen), Phoenissae (Die Phönikerinnen),
Medea, Phaedra, Oedipus, Agamemno,
Thyestes, Hercules Oeteus (Herkules auf dem Öta). b) Die V e r k ü r b i s s u n gdes Kaisers Claudius oder Satire auf den Tod des
Claudius Nero: A p o c o l o c y n-t o s i s. Diese
Schmähsatire ist eine Parodie auf die Apotheose des Kaisers Claudius.
Hauptanlass zu dieser Schrift war sicherlich seine Verbannung auf die unwirtliche
Insel Korsika. c) Epigramme, die zwar Senecas Namen
tragen, deren Echtheit aber bezweifelt wird. Die Epistulae Morales Seneca hat statt philosophischer Traktate die Briefform gewählt,
um seine philosophischen Aussagen, die mehr das praktische Handeln als
spekulativ-theoretische Inhalte betreffen, zu vermitteln. Die Briefe - sind dialogisch gestaltet, charakteristisch ist der Du- und
Wir-Stil, wodurch der Leser stärker angesprochen wird (appellativer
Charakter); - erleichtern durch den Verzicht auf eine philosophische
Terminologie einen leichteren Zugang für den Leser (Alltagssprache); - behandeln allgemein-menschliche Themen mit existentiellem,
praktischem Bezug (Tod, rechte Lebensführung, Glück etc.). Es wird auf eine
philosophische Systematik verzichtet; - sind in ihrer Handlungsorientiertheit pädagogisch ausgerichtet. Die politische
und gesellschaftliche Situation hatte sich in der frühen Kaiserzeit durch
Palastkämpfe, Verschwörungsversuche und politische Morde so verändert, daß eine Mitarbeit im Staat nicht mehr möglich war. Es
herrschte ein Atmosphäre von Angst und Terror. So verlagerten sich die Themen
der stoischen Philosophie hin zur Innerlichkeit, zur moralischen Festigung
des Individuums gegen die Bedrohung von außen. So wird die Philosophie zur
geistigen und seelischen Kraftquelle, zum Mittel zur Festigung des inneren
Widerstands. Werte finden sich innen in der Seele des Menschen,
Vervollkommnung war nur als Vervollkommnung des
Innerlichkeit denkbar. Das Interesse am Kosmos und an der Natur verringert
sich zugunsten der existentiellen Befindlichkeit der Einzelperson. Glück in
einer Welt des Unrechts und der Willkürherrschaft ist nur in der
Innerlichkeit erreichbar. Äußerlichkeiten werden belanglos. Senecas Philosophie in Grundzügen (nach: Abituraufgaben GK Bad.-Württ., S. 13, Stark-Verlag) Die politische und gesellschaftliche Situation hatte sich in der
frühen Kaiserzeit so verändert, daß eine Mitarbeit
im Staat nicht mehr möglich war. Da Staat und Gemeinschaft nach stoischer
Lehre Abbild der göttlichen Weltordnung sind, hat der Mensch die Aufgabe und
Pflicht, an dieser Weltordnung mitzuwirken. Cicero hatte die virtus (Tatkraft) in de re publica 1,2 als
eine Eigenschaft bezeichnet, die nur in der tatsächlichen Ausübung existiert
und deren vorrangiges Betätigungsfeld die Staatslenkung darstellt. Nachdem nun für den civis
Romanus ein Einsatz der virtus im Staat
und eine Mitgestaltung der Politik nicht mehr möglich waren, konnte die
stoische Philosophie nicht mehr Richtschnur zum politischen Handeln sein,
sondern wurde zur sittlichen Richtschnur, zum Schutzinstrument gegen die
Willkür und gegen den Verfall der römischen Lebens- und Werteordnung. Da das Glück nicht mehr in der politischen Betätigung, im
Einsatz für die Gemeinschaft erlangt werden konnte, mußte
der Stoiker sich aus der Gemeinschaft zurückziehen, um sich gegen die
Bedrohung von außen zu schützen. Die Philosophie wurde zur geistigen
Kraftquelle, zum Mittel zur Festigung des inneren Widerstands, auch gegen den
drohenden Tod. Da außen keine Werte zu finden waren, für die es sich
einzusetzen lohnte, wurden die Werte in das Innere verlagert. Vervollkommnung
war jetzt nur noch als Vervollkommnung des Innerlichkeit
denkbar. Das Ziel der „ataraxia“, der
Unerschütterlichkeit, blieb bestehen, nun nicht mehr nur gegen die
„Bedrohungen von innen“ durch die Affekte (unvernünftige, wider die
eigentliche Natur des Menschen gerichtete Bewegungen der Seele, ), sie diente
jetzt vor allem dazu, sich gegen das von außen drohende Schicksal und den Tod
zu wappnen. Auch Epikur hatte den Rückzug aus der Welt propagiert, vom
Staat, von den Geschäften, doch seine Motive waren andere. Höchstes Ziel für Epikur
ist das Wohlbefinden des einzelnen (oder die Lust) als Freisein von Schmerz
und Unruhe, ein Rückzug letztlich von allem, was die empfindlichen
Seelenatome in Unruhe versetzen könnte. Bei der Stoa Senecas geschieht der
Rückzug nicht freiwillig, sondern er ist notwendig, um nach den stoischen
Richtlinien leben zu können. Er geschieht nicht um des Wohlbefindens willen,
sondern ist die Voraussetzung, um die Tugend, das Sittlichgute, verwirklichen
zu können. Die Tugend allein ist für die Stoa ein absoluter Wert, nur durch
sie gelangt der Mensch zum Glück. Der Besitz der Tugend verhilft zu richtigem
Urteil und gibt auch die Kraft, nach diesem richtigen Urteil zu leben. Alles
andere, Leben und Tod, Hab und Gut, sind dagegen relative Werte, adiaphora. Es kommt auf die Haltung an, mit der
man diese Dinge handhabt. Unter Seneca verlagert die stoische Philosophie ihren
Schwerpunkt zur Ethik hin. Das Interesse an Kosmos und der Natur verringert
sich zugunsten der existentiellen Befindlichkeit des Individuums. Im Zentrum
von Senecas Philosophie geht es um die
Überlegenheit des Weisen über Schicksalsschläge, Schmerz und Tod. (Günter
Reinhart/Edith Schirok: Senecas
Epistulae morales, Bamberg 1988, S. 15ff.) In dem Bewußtsein, daß
kaum ein Mensch - schon mal gar nicht er selbst (epp.
57,3; 45,4) - dieses höchste Ziel erreichen kann, muß
Seneca unter der erzieherischen Intention der Epistulae morales umso
deutlicher den Wert eines proficere (ep. 16,2) hervorheben. Allein der vir sapiens
ist im Besitz der sapientia, sie allein ist
ein bzw. das perfectum bonum mentis humanae (ep. 89,4). Sie
bleibt wenn auch unerreichbares, so doch anzustrebendes Ziel. Die proficientes heben sich aber von den stulti entschieden dadurch ab, daß
sie schon zu Freunden der Weisheit geworden sind, sie haben teil an der philosophia, einer für jeden Menschen erreichbaren
Lebensform: philosophia sapientiae amor est et adfectatio: haec eo tendit quo illa pervenit (ep. 89,4). philosophia
bedeutet Streben, sapientia das Ziel (ep. 89,6: illa venit, ad hanc itur). Da das Ziel des Strebens nicht mit dem Streben
selbst identisch sein kann, müssen auch philosophia
und sapientia unterscheiden werden. Weisheit
wird definiert als divinorum et humanorum scientia (ep. 89,5), die Philosophie als studium
virtutis (ep. 89,8). Den Aussagen über die verschiedenen Stufen der Annäherung des
Menschen an die sapientia und über noch
vorhandene Fehlhaltungen liegen die drei Bereiche der antiken Ethik zugrunde,
die Seneca (ep. 89,14) selbst vorstellt: die
Güterlehre, die Lehre von den Trieben und Affekten und die Lehre vom Handeln.
Vorrangig, weil grundlegend für die beiden anderen Bereiche, ist das sicherer Wissen um wahre und falsche Güter, daraus erfolgt
der Antrieb zum Handeln und dann die Umsetzung in die Tat. Die von den Menschen im allgemeinen
hochgeschätzten Güter des Lebens werden als Scheingüter, die gefürchteten
Übel als Scheinübel entlarvt. Der Mensch wird arm geboren (ep.
10,13: nemo nascitur
dives), also ist der Reichtum kein natürliches
Gut. Zwar ist der Mensch auf Selbsterhaltung angelegt, aber das heißt nur:
nicht hungern, nicht dürsten, nicht frieren (ep.
4,10). Was er dazu braucht , ist auf das
Lebensnotwendige (ep. 17,9ff.) beschränkt. Völlige
Einfachheit der Lebensgestaltung oder - sollte der Mensch zufällig reich sein
- zumindest das Einüben der Armut durch sogenannte Fastentage
(ep. 18,5ff.) hilft dem Menschen, vom Reichtum
unabhängig zu werden oder sich vom möglichen Verlust nicht beeinträchtigen zu
lassen. Mag Seneca auch in fast allen Bereichen mit harten Worten gegen den
Luxus seiner Zeit angehen, so lehnt er doch den Reichtum nicht schlechthin
ab, sondern nur den falschen Umgang mit ihm, bzw. die falsche Einstellung zu
ihm. So kann der Mensch mitten im Reichtum - je nach seiner inneren Haltung -
arm oder auch reich sein, wie umgekehrt auch in der Armut. Alle äußerlichen Bedingungen, wie Armut oder Reichtum, Erfolg
oder Mißerfolg, Gesundheit oder Krankheit, sind
keine Güter, die in irgendeiner Form zur Glückseligkeit beitragen. Sie
gehören zu den indifferentia oder media
(ep. 82,10+12+14), wie Seneca den Begriff der „adiaphora“ ins Lateinische überträgt. Mit der Stoa unterscheidet Seneca innerhalb der indifferentia (ep.
117,9) drei Erscheinungsformen. Zur ersten Gruppe gehören die commoda (ep. 74,17),
Güter, nach denen die Vernunft mit voller Absicht strebt, weil sie naturgemäß
sind, wie z.B. gaudium, pax, salus patriae
(ep. 66,5). Zu den incommoda
(ep. 74,23) zählt er z.B. Krankheit, Folter, Verlust
von Angehörigen. Sie widersprechen zwar der Natur und dem
Selbsterhaltungstrieb, und der Mensch wird sie meiden, dennoch können auch
sie den Glückszustand des vir sapiens
in keiner Weise mindern; genausowenig wie das
Fehlen der commoda (ep.
92,16). Die commoda oder incommoda
sind ausschließlich unterschiedliche Erscheinungsformen von Gütern, die
außerhalb unserer Verfügbarkeit liegen und damit der Entscheidungsgewalt
durch die Vernunft entzogen sind. Zur dritten Gruppe gehören, eigentlich zwischen den commoda und incommoda
liegend, die Dinge, die weder der Natur entsprechen noch ihr widersprechen,
z.B. das Aussehen, der Gang, die Haarfarbe (ep.
66,5), und die in jeder Hinsicht gleichgültig sind. Zwar ist die Krankheit weder ein Gut noch ein Übel, wohl aber
ist Standhaftigkeit im Ertragen der Krankheit ein Gut. Der Tod kann einem
Menschen zum Beweis seiner Sittlichkeit dienen (Cato). Allein die ratio
kann aus den wertneutralen Dingen ein sittliches Gut oder sittliches Übel
machen, nämlich je nachdem, wie der Mensch mit ihnen umgeht. Bei richtiger
Entscheidung und sittlichem Verhalten können die indifferentia
zum wahren Gut, zum einzigen Gut, dem sittlich Guten werden. --------------------- Die Stoa zur Frage des Todes: Der Tod ist auch deshalb nicht zu fürchten, weil in ihm die
Seele als „Funken“ des göttlichen Feuers (Logos) den Körper ohne
Schmerzempfindung verläßt und sich mit dem ewigen
Urfeuer wieder verbindet. --------------- Zenon, der Begründer der Stoa, wurde im Jahre 333/332 v.Chr. auf
Zypern geboren. Grundlegend für seine Lehre ist die Überzeugung, daß das wahre Glück des Menschen von allen äußeren
Gütern unabhängig sei. Durch Epikurs Wirken in Athen (seit 306) fühlte sich
Zenon geradezu herausgefordert, eine eigene Philosophenschule zu gründen. Er
begann seine eigene Lehrtätigkeit 301/300 in der Stoá
Poikíle (Bunte Halle), einer von Polygnot bunt ausgemalten Wandelhalle am Markt, nach der
die Schule ihren Namen erhielt. Trotz oder gerade wegen ihrer Sittenstrenge
zog die Stoa viele junge Männer an, die nicht gewillt waren, auf der Suche
nach ihrem inneren Glück den epikureischen Weg der "Lust" zu gehen. Physik: Die sichtbare Welt ist nicht, wie Epikur lehrt, durch Zufall
entstanden, sondern das Werk der göttlichen Weltvernunft, des Logos, der
Gottheit. Da für die Stoiker nur Körperliches wirken kann, ist der materielle
Träger des Logos der feinste Stoff, das Urfeuer, die Quelle der Wärme und des
Lebens. Das Logos-Feuer ist die Urkraft, die
vorausschauend und fürsorglich (Logos = Prónoia,
Vorsehung) "zum Schaffen schreitet" (Zenon), die erste Ursache der
lückenlosen Ursachenkette aller Abläufe und Bewegungen (Logos = Heimarméne, Schicksal). Durch Verdichtung des Urfeuers entstehen die übrigen Elemente
(Luft, Wasser, Erde), aus deren vielfältiger Mischung der Kosmos in seiner
Schönheit und Zweckmäßigkeit hervorgeht. Der führende Seelenteil des Weltorganismus hat seinen Sitz in
der Region des himmlischen Feuers, doch durchglüht das göttliche Logos-Feuer als "Hauch" (pneuma)
das gesamte All und trägt in sich die "Samenkeime" (lógoi spermatikoí), aus denen
die Einzeldinge hervorgehen. Durch die ihm innewohnende Spannkraft verleiht das Pneuma selbst dem kleinsten Stein seinen Zusammenhalt. Trotz des strengen Determinismus (Bestimmtheit allen Geschehens
durch Ursachen) halten die Stoiker entschieden an der Willensfreiheit des
Menschen fest: Der menschliche Logos hat die freie Entscheidung über die
Annahme bzw. Ablehnung der von außen kommenden Vorstellung. Die höchste
Freiheit des menschlichen Logos besteht darin, die Normen des Weltenlogos zu erkennnen und nach ihnen zu handeln. Mit dem Tod verläßt das Seelenpneuma den Körper und geht im All auf. Nach Ablauf eines großen "Weltjahres" kehrt der Kosmos
in das Urfeuer zurück (Weltbrand: ekpýrosis), aus
dem dann wiederum derselbe Kosmos mit denselben Individuen (Wiedergeburt: palingénesis) hervorgeht. Dieser Zyklus wiederholt sich
ewig (Weltperioden). Zur richtigen Bestimmung des
menschlichen "Lebenszieles" (télos) und
damit der richtigen Lebensführung gehen die Stoiker vom Urtrieb des Menschen
aus, der Oikeíosis ("Zueignung"). Sie ist
der instinktive Trieb jedes Lebewesens, das als ihm "eigen" (oikeion) empfundene Wesen zu entfalten, alles zu suchen,
was der Erhaltung und Förderung des "Eigenen" dient, und das Gegenteilige
zu meiden. Gesundheit, Sprechvermögen, aufrechter Gang, Gemeinschaft mit den
Menschen usw. sind "das erste Naturgemäße" (ta
prota katà physin). Sie sind die ersten Werte (axía),
da sie einen Beitrag leisten zu dem, was der Natur des Menschen gemäß ist.
Jede Handlung, die der naturgewollten Entfaltung des menschlichen Wesens
dient (Essen, Pflege des Körpers, Liebe zu den Eltern usw.), ist eine
"uns zukommende Handlung" (kathekon,
Pflicht). Im Gegensatz zum Tier besitzt der Mensch von Natur die Anlage
der Vernunft. Sobald er sich dieser im Laufe der Jahre (bis etwa 14.
Lebensjahr) bewußt wird, wendet sich die Oikeiosis der Entfaltung des Logos zu, und der Mensch
erkennt das Gute in dem, was seinem wahren Wesen förderlich ist und als seine
eigene Leistung ihm Genugtuung und inneres Glück verleiht. Die Vollendung seiner Vernunftanlage ist dem Menschen nur
möglich, wenn er durch richtige (philosophische) Belehrung und durch eigenes
Streben den Kampf gegen seine Triebe und die schlechten Einflüsse von seiten seiner törichten Mitmenschen besteht. Die
vollendete Vernunft, der Logos, der sich den von außen kommenden
Vorstellungen gegenüber behauptet und die Triebe beherrscht, ist der
bestmögliche Zustand des Menschen, seine Areté,
"Tugend"(Gegenteil kakía =
Schlechtigkeit, Lasterhaftigkeit). Diese naturgewollte Führung der Triebe
durch den Logos ist die "Harmonie der Seele" (homología).
Sie ist ein Ebenbild der Harmonie und der Schönheit des Makrokosmos. Sie ist
die "Schönheit" der Seele, das
"Schöne"(kalón), das
"Sittlichgute". Das Sittlichgute(= Tugend) ist der höchste Wert, es
ist das einzige "Gut" des Menschen und darum auch ohne Rücksicht
auf den äußeren Erfolg um seiner selbst willen erstrebenswert. Das
Sittlichgute allein bewirkt die Glückseligkeit (eudamonía).
"Das Leben unter der Führung des Logos (homologouménos
zên bzw. homologouménos te phýsei zên
in Übereinstimmung mit der Natur leben), die Einheit von Denken, Wollen und
Handeln ist das Lebensziel des Menschen. Besitzt der Logos nicht die nötige Stärke, so stimmt er
Vorstellungen zu, die die Triebe (Gefühle, Begehrungen) wider ihr natürliches
Maß übersteigern: Der Trieb (hormé) wird zum
"Affekt", zur "Leidenschaft" (páthos).
Die kranke, leidende Seele ist das "Sittlichschlechte", das einzige
Übel des Menschen. Wer sittlich schlecht handelt, erleidet seelische Qualen.
Der leidenden Seele kann nur die Philosophie helfen, deren Ziel die
"Freiheit der Seele von den Affekten-Leidenschaften"(apátheia) ist. Gesundheit -
Krankheit, körperliche Lust - körperlicher Schmerz, Reichtum - Armut, Ruhm -
Verachtung usw. sind hinsichtlich des sittlichen Zieles der Glückseligkeit
weder "Güter" noch "Übel". Da sie ihren Wert erst durch
den Gebrauch erhalten, den der Logos von ihnen macht, sind sie an sich
sittlich "unterschiedslos" (adiáphora).
Dennoch werden von der Vielzahl der Adiaphora einige
(z.B. Leben, Gesundheit, maßvoller Besitz, Kinder) von der animalischen Natur
des Menschen "bevorzugt" (proëgména),
andere (z.B. Krankheit, Armut) "zurückgesetzt" (apoproëgména).
Jedoch darf das Streben nach den Proegmena das
Streben nach dem Sittlichguten nicht beeinträchtigen. Die eine Tugend
kann sich in vier Kardinaltugenden zeigen: Einsicht - Klugheit (phrónesis), Selbstberrschung -
Besonnenheit (sophrosýne), Tapferkeit (andreía) und Gerechtigkeit (dikaiosýne). Das Feld des
sittlich guten Handelns ist die Gemeinschaft. Ohne sie kann sich das Wesen
des Menschen nicht entfalten.Da der individuelle Logos nur ein Teil der Weltvernunft ist, ist
der einzelne Mensch Bürger der ganzen Welt (Kosmopolit). Innerhalb der Kosmopolis richtet sich sein Rang nicht nach Äußerlichkeiten
(Grieche - Barbar, Freier - Sklave), sondern nach dem Maßstab des
Sittlichguten. Der Logos ist das rechtsverbindliche Gesetz dieser Gemeinschaft
(Vernunftrecht, Naturrecht, göttliches Recht). Dieses Vernunftgesetz ist die
Quelle der positiven (geschriebenen) Gesetze. Der Weise
besitzt das Wissen um das Gute und Schlechte und verwirklicht es im Leben. Er
weiß von den großen Zusammenhängen des Weltgeschehens, er ist vorbereitet auf
alle Fügungen des Schicksals. Der Logos seiner Seele harmoniert mit dem
Weltenlogos. Er ist frei von allen Leidenschaften. Für ihn gibt es keine
Knechtschaft: Ist ein Leben unter der Führung des Lebens nicht mehr möglich,
kann er freiwillig aus dem Leben scheiden. Seit Panaitios(185-109 v.Chr.) war die
Stoa die bestimmende Kraft im römischen Geistesleben. Er verlagerte den
Akzent vom Menschen als Kosmopolit auf den realen Einzelstaat und schenkte
den gewöhnlichen Kathekonta, den Pflichten des
Alltags seine besondere Beachtung. Panaitios nahm
dem "Weisen" der alten Stoa seine übermenschlichen Züge und ließ
ihn zum erreichbaren sittlichen Ideal für den römischen Staatsmann werden,
der sich auf der Bühne des Weltreiches zu bewähren hatte. Die Eklektiker Varro und Cicero, die sich mit Vorliebe als Akademiker bezeichneten,
übernahmen stoische Lehren (Cicero u.a. die Lehre vom Naturrecht, Lehre von
den Pflichten, gemischte Verfassung). Unter den Nachfolgern des Augustus wandte sich die Stoa vom
Staate ab und konzentrierte sich auf die Sorge um das persönliche Seelenheil.
Zwischen den willkürlichen Ansprüchen eines absoluten Herrschertums und den
Forderungen eines zeitlosen Sittengesetzes waren keine Kompromisse möglich.
Die innere Haltung des Stoikers äußerte sich im Falle Senecas
mit dem Rückzug aus der Politik, andere fanden Mut zur Kritik, ja zum
aktiven Widerstand. |